Montag, 19. Januar 2009

Ein letzter Ausflug nach Mexico City

Überlieferungen zufolge war es der Gott Huitzilopochtli, der den Azteken den Auftrag gegeben hatte, an der Stelle eine Stadt zu errichten, an der sie einen Adler fänden, der auf einem Kaktus sitzend eine Schlange verspeist. Dies - so die alten Schriften - sei der Ort, an dem das Gute über das Böse siegt. Und die Azteken fanden diesen Ort - mitten auf einer Insel im Texcoco-See. Im Jahr 1325 gründeten sie dort die Stadt Tenochtitlan (das heutige Mexico City). Es kann jedoch auch davon ausgegangen werden, dass die Azteken die Insel als Siedlungspunkt wählten, weil sie einen strategisch guten Rückzugspunkt darstellte und der See sie außerdem mit Fisch versorgte. Sea lo que sea - Adler, Schlange und Kaktus sind bis heute das Zentralmotiv der mexikanischen Flagge.

Bald reichte das wenige vorhandene Land nicht mehr aus, die wachsende Bevölkerung Tenochtitlans zu ernähren. Also bauten die Azteken chinampas, schwimmende Gärten. Dazu benutzten sie rechteckige Flöße aus Flechtwerk, auf die sie Erde aufschütteten, dann wieder Flechtwerk, dann wieder Erde, dann wieder Flechtwerk ... und das solange, bis die schwimmenden Anbauflächen den Seegrund erreichten. Dann wurden Weiden gepflanzt, die die Flöße im Seegrund verankerten und den künstlichen Anbauflächen Halt gaben. Über die Jahre wuchsen die Pflanzflöße durch Wurzelbildung am Seegrund fest. Durch die ständige Wasserzufuhr und Schlammdüngung wurden bis zu vier Ernten pro Jahr möglich.

Als die spanischen Konquistadoren unter Hernán Cortés im Jahr 1519 die Azteken unterwarfen (was der Beginn der 300-jährigen spanischen Kolonialherrschaft war) machten sie Tenochtitlan so gründlich dem Erdboden gleich, dass heute nur noch sehr wenige aztekische Bauten erhalten sind. Auf den Trümmern errichteten sie ihre eigene Hautstadt - die moderne Ciudad de México, Mexico City.

Viel ist nicht übrig von Tenochtitlan. Jedoch sind bis heute unter anderem Überbleibsel der chinampas, der schwimmenden Gärten erhalten und zwar in Xochimilco (Náhuatl für "Ort, an dem die Blumen wachsen"). Caro, Dani und ich waren letzten Samstag dort. Auf bunten, geschmückten Floßen, den trajineras, gondelten wir gemütlich durch das verzweigte Kanalsystem von Xochimilco, durch schmale Wasserstraßen und vorbei an Gewächshäusern. Xochimilco ist heute ein beliebtes Ausflugsziel, auf dem Wasser fand ein lebhaftes Treiben statt. Von trajineras aus wurden Süßigkeiten, Speisen und Kunsthandwerk verkauft. Auf anderen Flößen spielten Mariachi. Alles ging bunt und laut durcheinander - es war ein lohnenswerter Ausflug und ein schöner Beginn für meinen letzten Trip nach Mexico City (zumindest der letzte Trip während meines Auslandssemesters hier - ganz sicher nicht der letzte Besuch überhaupt...)

Später an diesem Tag fuhren wir nach Coyoacán, das heute längst Teil der explosionsartig gewachsenen Stadt ist, das vor 100 Jahren jedoch noch ein Vorort von Mexico City war. Im Jahr 1907 wurde hier Frida Kahlo geboren, die Kämpferin und Rebellin, die um ihr Leben malte, als sie durch ein Busunglück zur Invalidin wurde. Sie ist bis heute eine der bedeutendsten Künstlerinnen Mexikos. Sie heiratete gleich zwei Mal den Maler Diego Rivera, den Schöpfer monumentaler Wandbilder (über die ich in den Blogtexten über meine Aufenthalte in Mexico City bereits geschrieben habe). Diego Rivera und Frida Kahlo lebten mehrere Jahre in Fridas Geburtshaus in Coyoacán, das wegen des indigoblauen Anstrichs casa azul genannt wird. Heute befindet sich im Blauen Haus das Museo Frida Kahlo. Leider war es nicht erlaubt, im Haus Fotos zu machen - dafür habe ich jedoch Bilder vom Garten der Frida Kahlo und vom Haus Leo Trotzkis (spanisch: León Trotsky), der nur wenige Blocks entfernt gelebt hat.

Leo Trotzki war neben Lenin der zweite herausragende Führer der russischen Revolution von 1917 und der schärfste Kritiker der stalinistischen Bürokratie, die zu seiner Zeit in Russland herrschte. Nach seiner Vertreibung erhielt er Asyl in Mexiko und führte seinen Kampf von dort aus weiter. Zunächst lebte er gemeinsam mit Frida Kahlo im casa azul, bevor er in ein nur wenige Straßen entferntes, festungsartiges Haus zog, das heute das Museo León Trotsky ist. Im Hof sind seine Überreste begraben. Neben verschiedenen Fotoausstellungen finden sich in dem Museum bis heute die Räume, in denen er lebte - unter anderem das Schlafzimmer, in dem er am 24. Mai 1940 knapp ein Attentat mit Schusswaffen durch Stalin-treue Kommunisten überlebte. Die Einschusslöcher in den Wänden sind noch immer zu sehen. Auch sein Arbeitszimmer kann man anschauen - dort erschlug der sowjetische Geheimagent Ramón Mercader Leo Trotzki im Jahr 1940 mit einem Eispickel. Die Räume sind original erhalten - das musste ich mir natürlich noch anschauen, bevor ich am 24. Januar nach Deutschland zurück fliege.

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