Samstag, 15. November 2008

Wenn ganz Mexiko zum Leben erwacht - Oder: Der Día de los Muertos

Der Mexikaner liebt es zu feiern, er liebt die Fiestas. Alles ist ein Grund, sich zu treffen; jeder Vorwand berechtigt, zu feiern. "An wenigen Orten der Welt kann man ein Schauspiel erleben, das dem einer religiösen Fiesta in Mexiko gleichkommt: mit ihren heftigen, spröden, reinen Farben, Tänzen, Zeremonien, Feuerwerken, ungewöhnlichen Trachten und unerschöpflichen Kaskaden von Überraschungen, mit ihren Früchten, Süßigkeiten und allerlei Gegenständen, die man in solchen Tagen auf Plätzen und Märkten verkauft." So beschreibt Octavio Paz die Fiestas in seinem eigenen Land.

Auf einer mexikanischen Fiesta wird jeder Begriff von Ordnung im Tequila ertränkt und alles wirbelt durcheinander - Farben, Geschrei, Gelächter, Schimpfwörter, ... Es geht um Teilhabe, darum, dass die Zeit stehen bleibt und in der Gegenwart verharrt - und sei es nur für eine Nacht. Vergangenheit und Zukunft werden eins oder sind vielleicht auch einerlei - was zählt ist der Moment. "Die Teilnehmer der Fiesta", so Octavio Paz, "verlassen ihren sozialen und menschlichen Rang und werden zu lebendigen, wenn auch vergänglichen Rollenträgern."

Und ich hatte die Chance, an einer mexikanischen Fiesta teilzunehmen, die für mich die bisher ungewöhnlichste aller Fiestas war: Der Día de los Muertos. Der deutsche Feiertag "Allerseelen" wird am gleichen Tag gefeiert und doch könnte das Feiern nicht unterschiedlicher sein. Dort viel grau in grau, windgeschützte Kerzen auf kalten Friedhöfen, andächtiges Lauschen der Messe, Feierlichkeit, Ruhe, Besinnlichkeit - hier in Mexiko Mariachi auf dem Friedhof, Blumenmeere, fröhliches Durcheinander. Singend und Bier trinkend stehen die mexikanischen Familien vor überreich geschmückten Gräbern, manche sind traurig, die meisten nicht. Lachen schallt über den Friedhof, kein kleines verstohlenes Lachen, nein, viele Menschen haben Spaß. Und ich bin fasziniert, denn ganz ehrlich: Wann lacht sich schon mal einer ungeniert auf dem Friedhof schlapp? Allerseelen verbinde ich mit Stille und Einkehr. Also, wenn ich überhaupt irgendetwas damit verbinde. Allerseelen war für mich nie ein bedeutendes Fest. Doch hier ist es genau das: Eine Fiesta, auf die der Mexikaner sich vorbereitet, auf die hingearbeitet wird. Es ist eine ganz besondere Fiesta, eine, die erwartet wird - und zwar schon von den Kleinsten. Die Mexikaner haben eine grundlegend andere Vorstellung vom Tod als wir Deutschen.

Die mexikanische Einstellung zum Tod hat eine lange Tradition. Schon die alten Völker (Olmeken, Maya, Tolteken, Azteken) beschäftigten sich intensiv damit. Für sie war der Tod nicht so unbedingt wie für uns heute. Er war kein Ende an sich, sondern eine Phase im unendlichen Kreislauf von Leben, Sterben und Wiederauferstehung. Erst der eindringende Katholizismus hat diese Vorstellung überformt und Mexiko radikal verändert. Doch so sehr sich die "alte" und "neue" Religion auch unterschieden - beide Haltungen haben etwas gemeinsam: Der Tod bedeutet neues Leben - irgendwann -, er ist ein Durchgang in eine andere Zeitlichkeit. Leben und Tod, - darauf weist Octavio Paz hin -, sind nicht autonom, niemals zu trennen, sondern zwei Seiten einer Medaille. Das Eine existiert nicht ohne das Andere.

Vor diesem Hintergrund scheint es gar nicht so verwunderlich, dass in der Vorstellung vom Tod wenigstens ein Teil des alten Glaubens die conquista des Katholizismus überlebt hat - bis heute! Und während in vielen modernen Industriegesellschaften das Leben voranschreitet als gäbe es den Tod überhaupt nicht, geht der Mexikaner damit um - auf seine ganz eigene, mexikanisch bunte, traurige und gleichzeitig fröhliche Art und Weise.


Der Tod ist im mexikanischen Alltag sehr präsent. Er ist furchtbar, wenn er eintritt; traurig in der Phase der Trauer; Ende des irdischen Lebens und doch nicht das Ende von allem. Der Mexikaner hat keine Angst. Im Gegenteil: er foppt den Tod, hänselt ihn, spielt damit, lacht ihn aus. Und im Oktober lässt er ihn Einzug halten in Häuser und Geschäfte. Dann finden sich an jeder Ecke Skelette, Totenköpfe aus Zucker, Särge aus Schokolade mit Skeletten darin, die Tequilaflaschen in der Hand halten oder eine Zigarette - der Tod ist süß, das soll auf diese Weise veranschaulicht werden. Der Tod ist süß und die Geister der Toten sind keine Schreckgespenster - im Gegenteil: Lebende und Toten stehen in gutem Kontakt. Die Verbindung bricht in der mexikanischen Vorstellung nie wirklich ab: Jeder kann hin und wieder zur Seele eines Verstorbenen Kontakt aufnehmen. Und ein Mal im Jahr erwacht ganz Mexiko wieder zum Leben - in den Tagen des Día de Los Muertos. Und der Ausdruck "GANZ Mexiko" ist hier auch ganz wörtlich zu verstehen. Denn ein Mal im Jahr, in den Tagen um den ersten November, kehren die Seelen der Toten zurück.

Und das wird gefeiert: An der Uni hatten wir ab Mittwoch keine Vorlesungen mehr - stattdessen gab es Altar-Wettbewerbe auf dem Campus unter dem Motto `Wer macht den schönsten Altar?` Auch Montag und Dienstag hatten wir unifrei. Da war der Día de los Muertos zwar längst rum - aber wie gesagt: Der Mexikaner liebt das Feiern. Und wenn ein Feiertag auf´s Wochenende fällt, dann - so steht es in der Verträgen der Professoren - wird eben an den Wochentage darauf gefeiert und alle haben frei. Viva México! Viva! Viva!


Die Mexikaner machen ein Volksfest aus Allerseelen - (Jahr-)Märkte auf den Straßen, Musik auf den Friedhöfen, Festessen in den Häusern. Es sind höchst lebhafte Tage: einer für tote Kinder, einer für Unfallopfer, einer für alle Toten, ... Die Einstellung der Mexikaner zum Tod und zu den Toten äußert sich in diesen Tagen in jahrhundertealten Ritualen:
Wir waren in Huaquechula, einem kleinen, unterentwickelten Dorf, etwa zwei Busstunden von Puebla entfernt. Dort ist sind Pferde wirklich nohc Transportmittel und der Día de los Muertos wird sehr traditionell gefeiert. Die orangefarbenen Blütenblätter, die vor den Eingängen der Häuser verstreut werden, weisen nicht nur den Seelen der Toten den Weg. Viele Familien rücken die Möbel zur Seite, öffnen ihre Häuser und geben den Blick frei auf eigens für diese Fiesta errichtete Altäre, mit denen sie ihren Verstorbenen gedenken und über die sie ihren Toten den Weg zurück nach Hause eröffnen. Jeder ist eingeladen einzutreten und zu verweilen. Für uns gab es viel zu sehen: In Huaquechula waren die Altäre sehr traditionell, mit viel weißem Stoff, Engelchen, langen Kerzen. In Puebla sahen wir auch ganz andere Altäre in der Casa de la Cultura, im Haus der Kultur. Dort waren der Gestaltung keine Grenze gesetzt: traditionelle Altäre fanden sich neben modernen. Errichtet waren sie für die unterschiedlichsten Menschen. Es gab Altäre für Azteken, für den Kriegsgott, für die ersten Telefonisten Mexikos, für Schauspieler, Musiker, Komponisten, für Sanitärer, für die Opfer des Studentenmassakers vom 2. Oktober 1968, für Papst Johannes Paul den II., für Emilio Zapata, für Pixel, für entführte Frauen und für viele mehr. Gemein war allen Altären eines: Das Essen, das darauf angerichtet war. Die Familien stellen Gerichte für die Toten bereit, meist das Lieblingsessen der Verstorbenen, aber auch Früchte, Süßigkeiten, Zigaretten, Bier, Tequila, ... Wenn die Lebenden später das Essen essen stellt sich eine Verbindung zur Seele der Verstorbenen her. In Huaquechula gab es dann noch Essen für alle. Jeder, der in ein Haus kam, um den Altar zu besichtigen, wurde eingeladen zu bleiben. In den Hinterhöfen waren große Tafeln errichtet und jeder bekam etwas zu essen.


Viele Familien sparen das ganze Jahr über, nur um in diesen Tagen einen Altar errichten zu können und das ganze Dorf und alle Zugereisten zum Essen einzuladen. Das Bild dieser Fiesta ist gezeichnet vom Übermaß - an Früchten, Broten, an weißem Stoff und an Blumen, vor allem an Blumen. Es scheint eine rituelle Verschwendung von Gütern zu sein, die die Familien mühevoll das ganze Jahr angesammelt haben. Es ist vielleicht Verschwendung und doch kann ich nicht schreiben, es sei Vergeudung. Octavio Paz: "Ja man kann sozusagen an der Zahl und am Aufwand unserer Feste unsere Armut ermessen. Die reichen Länder haben ihrer nur wenige. Es fehlt ihnen an Zeit und an Stimmung und außerdem sind sie gar nicht notwendig. [...] Doch wie könnte ein armer Mexikaner ohne diese zwei, drei Fiestas jährlich leben, die sein Elend und seine Sorgen aufwiegen. Es ist der einzige Luxus."

Am Sonntag waren wir auf dem Panteón Municipal, dem städtischen Friedhof Pueblas. Bereits am Freitag haben Caro, Yaneli und ich den Friedhof zum ersten Mal besichtigt. Und was wir sahen war schön. Nichts ist da mit deutscher Ordentlichkeit und nichts in Reih und Glied: Es herrscht ein Durcheinander von individuellen Gräbern, manche reich verzierte kleine Schlösser, andere nicht mehr als ein Erdhügel, auf dem alte Blechdosen als Blumenvasen stehen. In vielen Gräbern liegen mehrere Menschen, bis zu acht vor einander in die Erde gerammte Kreuze habe ich gezählt. Es war schön. Wir haben den Menschen bei ihren Vorbereitungen zugeschaut und waren am Sonntag also auf Blumenteppiche gefasst - nicht jedoch auf einen großen Markt und soooooo viel Andrang. Vor den Toren des Friedhofs hatten viele Händler ihre Stände aufgebaut. Es gab einfach alles: Blumen, illegal gebrannte CDs (CDs piratas genannt), Kleidung, Süßigkeiten und jede Menge typisches Straßenessen. Als Caro und ich nach ausgiebigem Schauen und Probieren den Friedhof betreten wollten staunten wir nicht schlecht: Ein- und Auslass wurde geregelt, so viel war da los. Gleich hinter dem Eingang prangte ein überdimensionales Schild mit der Aufschrift: "Alkohol und Essen verboten". Darunter fand sich ein Stand der Stadt an dem Wasser ausgeschenkt wurde - und Bier. Überall waren Menschen dabei zu putzen, Berge von Blumen zu schleppen, Gräber zu schmücken und teilweise neu zu streichen. Familien standen um die Gräber - manche andächtig, andere grölend vor Lachen. Caro und ich waren in all dem Treiben die einzigen offensichtlichen Ausländer. Doch zum ersten Mal fielen wir nicht auf. Die Menschen waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Niemand hat uns beachtet. Und so konnten wir still teilhaben und eine richtig mexikanische Fiesta erleben, die irgendwie gewöhnungsbedürftig, jedoch rein und authentisch war - auf jeden Fall merkwürdig.


"An wenigen Orten der Welt kann man ein Schauspiel erleben, das dem einer religiösen Fiesta in Mexiko gleich kommt."
Ich denke Octavio Paz hat recht. Und ich liebe die mexikanischen Fiestas, ihre Gerüche, ihren Lärm, ihre Farben, das fröhlich-aufgekratzte Chaos. Ich schaue mit dem Blick einer Fremden, für mich ist alles neu - und gerade in diesen Tagen schien mir manches gewöhnungsbedürftig. Ich werde immer wieder überrascht. Während des Día de Los Muertos waren es vor allem meine eigenen Gedanken über den Tod, die mich überraschten. Der Mexikaner geht ganz anders damit um, als ich es bisher kannte. Und vielleicht - das ist meine Meinung - vielleicht hat er den besseren Weg gewählt, Meilen entfernt vom Wegsperren des einen Gedankens, der sich dauerhaft niemals und aus keinem Leben wegsperren lässt. Sterben scheint einfacher zu sein in Mexiko. Und mir fiel etwas ein, was ich versuchen werde, für immer zu behalten: Der Tod ist gar nicht so schrecklich, weil er so ist - sondern weil wir ihn dazu machen.

Mittwoch, 12. November 2008

Urlaub im Urlaub in Yucatán und Quintana Roo

Meine Professoren hatten mir zwei Wochen frei gegeben - während des Semesters. Viva México! Viva! Viva! Roland und ich haben die Zeit genutzt um den Süden Mexikos zu erkunden - ich hab Urlaub in meinem großen, sechs Monate dauernden Urlaub gemacht.
Zuerst waren wir in Palenque im Dschungel. Nach drei Tagen kehrten wir dann zurück in die Zivilisation. Nachts um halb zwölf nahmen wir von Palenque aus den Bus in Richtung Norden, nach Mérida. Wir fuhren die ganze Nacht und wurden nur ein Mal geweckt - von Soldaten, die an einem Grenzposten mit ihren Waffen in Händen den Bus durchsuchten nach was auch immer. Das war komisch.

Morgens gegen halb neun kamen wir in Mérida am Busbahnhof an. Um neun hatten wir unser Zimmer in einer sehr gemütlichen Jugendherberge mit schönem Innenhof und Hängematten und wussten noch nicht so richtig, was wir mit dem Tag anfangen sollten. Und plötzlich ging alles ganz schnell: Ein Touri-Guide fragte uns, ob wir nicht Lust hätten auf eine Schnorcheltour, in fünf Minuten würden sie abfahren und es seien noch zwei Plätze frei. Dann sind wir gerannt. Und innerhalb von fünf Minuten, nachdem wir unser Zimmer auf der Suche nach Badesachen in ein Schlachtfeld verwandelt hatten, saßen wir im Auto. Auf dem Weg zu den cenotes, den Höhlen, in denen wir schnorcheln wollten, erklärte uns unser guide alles mögliche über Mérida und die Halbinsel:

Mérida, einst die bedeutende Maya-Stadt T´Hó, ist die Hauptstadt des Staates Yucatán. Zwar haben die spanischen conquistadores nach der Eroberung Mexikos die Stadt und das Umland überformt, jedoch sind die kulturellen Wurzeln bis heute sichtbar: Auf dem Weg zu den cenotes fuhren wir durch Dörfer und vorbei an von Palmblättern bedeckten, weiß getünchten und nahezu ausschließlich mit Hängematten "möblierten" Maya-Häusern. Nach wie vor gibt es in und um Mérida eine relativ große autochthone Bevölkerung. Später an diesem Tag waren wir dann in einem Maya-Restaurant essen. Es gab ein typisches Gericht: Hähnchen mit einer speziellen Gewürzmischung, deren Namen ich mir keine zwei Sekunden lang merken kann und dazu Reis und Gemüse. Zunächst jedoch erfuhren wir noch mehr über die Gegend und die Entstehung der rund 3000 Höhlen, die es auf der Halbinsel gibt: Vor etwa 65 Millionen Jahren knallte ein Meteorit auf den heutigen Staat Yucatán und hinterließ einen Krater, dessen Durchmesser angeblich 284 km beträgt. Laut unserem guide (quien sabe, ob das stimmt, klingt jedenfalls spannend...) war das Gestein der weit verteilten Meteorit-Brocken schwerer als das Gestein der Halbinsel, daher sanken die Bruchstücke langsam ab und formten so das weitläufige Höhlen-System. Wie auch immer, es gibt über 3000 cenotes in Yucatán und viele davon sind kleine Paradiese für Schorchler und Taucher.

Die erste Höhle, in der wir waren, lag nicht weit unter der Erdoberfläche. Über eine Leiter kletterten wir hinunter. Und während aufgeschreckte Fledermäuse um unsere Köpfe schwirrten sprangen wir mit unserer Schnorchelausrüstung ins bodenlose Schwarze, das war vielleicht unheimlich. Aber nach kurzer Zeit hatten unsere Augen sich an die Lichtverhältnisse gewöhnt und mit einer Lampe konnten wir den Grund des Wasserbeckens und Fische sehen. Leider schwammen im Wasser überall Fledermaus-Exkremente, die mir einen Ausschlag am ganzen Körper beschert haben. Das war nicht so der Brüller.
Die zweite Höhle war offen und sehr schön, mit vielen Stalagmiten und Stalaktiten und Wurzeln, die durch die Decke bis ins Wasser reichten. An einer Seite war die Grotte laut unserem guide über 200m tief und der Beginn eines weit verzweigten Höhlen-Netzes. Auch das war mir unheimlich, da blieb ich lieber im Nichtschwimmerbereich...

Am nächsten Tag fuhren wir weiter nach Chichén Itza, die bekannteste und am besten erforschte Maya-Ruinen-Stadt. Ich hatte mich sehr darauf gefreut und wurde dann leider etwas enttäuscht: Chichén Itza war überfüllt mit Touristen und mit Händlern, die ihr Kunsthandwerk als das Beste der Welt anpriesen und die uns mit ihrem "One Dollar, one Dollar, it´s cheap"-Geschrei ziemlich auf die Nerven gingen. Chichén Itza ist vor allem auch bekannt für die mathematische Perfektion, mit der die Stadt errichtet wurde. Leider haben wir davon nichts gesehen, weil die Pyramiden alle abgesperrt waren. Wir konnten nicht hochsteigen und so fehlt uns leider der Gesamteindruck.

Nach zwei Stunden hatten wir genug und sind weiter gefahren nach Tulum. Und dort fanden wir uns in einer Postkarte wieder, jedenfalls kam es mir so vor. Doch was mir plötzlich mit gefühlten 40°C vor den Kopf knallte war keineswegs eine Postkarte, sondern volle, echte, türkisblaue, natürliche Natur. Wow! kann ich zu Tulum nur sagen - der Strand weißer als weiß, der Sand feiner als fein, das Wasser türkisgrüner als türkisgrün. Einfach schön. Und erst die Maya-Ruinen am Strand - weltweit einzigartig, das sind sie tatsächlich. Und mitten drin: Roland und ich am Strand faulenzend, im Hostel Spaghetti kochend, Kokosnüsse von der Palme pflückend, Kokosnüsse essend, einen Schnorcheltrip machend - ja der war besonders wow. Über Wasser das Strandparadies mit den herausragenden Ruinen, unter Wasser ein ganz eigenes Paradies: tierhandlungsschaufenstertauglich bunte Fische, Einsiedlerkrebse, Seesterne und Korallen, jede Menge Korallen. Vor der Küste Mexikos schlängelt sich das zweit größte Korallenriff der Welt durch den weißen Sand, klar, dass wir vom Schnorcheln sofort süchtig wurden und es immer wieder und wieder gemacht haben.

Nach Stunden um Stunden fröhlichen Faulenzens verliesen wir unser Strandparadies und machten uns auf den Weg zu den Ruinen. Wir mussten zehn Minuten laufen und diese entwickelten sich innerhalb kürzester Zeit zu wirklich verrückten zehn Minuten. Massen von Stechmücken fielen über uns her wie eine Meute, die Blut geleckt hat. Und das haben sie wohl auch, jedenfalls hatte mein Streuselkuchen-Stil sich nach der Mücken-Attacke auf Arme, Gesicht und Schultern ausgebreitet. Also sind wir gerannt und aus den gefühlten 40° wurden 45°. Mindestens. Für die Ruinenstadt hat es sich jedoch gelohnt (naja, das kann ich so voller Überzeugung jedenfalls jetzt sagen, wo es nicht mehr juckt). Doch weiß ich nicht, was mich mehr faszinierte, die wirklich schönen Ruinen - oder ihre Lage am vielleicht noch schöneren Meer...

Leider war außer den Moskitos noch etwas anderes ganz und gar nicht postkartenreif im paradiesischen Tulum: Unser Zimmer. Für 300 pesos die Nacht wohnten wir in einem Loch, fast so groß wie das Bett, das darin stand. Eben jenes Bett war angeschimmelt und über die widerlichen Laken soll hier lieber der Mantel des Schweigens gebreitet werden. Jedenfalls fanden wir drei Tage ausreichend und fuhren weiter nach Playa del Carmen. Dort hatten wir allerdings keine Lust zu verweilen. Am traumhaft schönen Strand drängte sich ein mettwurstfarbener Hotelklotz an den nächsten und viel zu viele Touristen auf viel zu wenig Raum fläzten am viel zu bebauten Strand - auf diese Art Sardinendosenurlaub verzichteten wir gerne und flohen per Fähre nach Cozumel.

Cozumel ist die größte Insel des Landes, rund sieben Kilometer vor der Küste Mexikos. Es war Hurricane-Zeit als wir dort waren und so hielten wir es für angebracht uns über das Wetter zu informieren. Leider kein leichtes Unterfangen in dieser Gegend. Zwar kommt in den Nachrichten jeden Abend der Wetterbericht, verlassen kann man sich jedoch darauf nicht. Einheimische haben uns gesagt, dass das Wetter in der Karibik Mexikos unmöglich vorauszusagen sei. Und im Wetterbericht bekommt der leichtgläubige Tourist gerne mal Bilder vom letzten Jahr gezeigt. (... Mexiko! ...) Nur auf die Hurricane-Vorhersage kann man sich verlassen, die Hurricanes werden auf ihrem langen Weg von der Küste Afrikas nach Mexiko beobachtet, ein ausgereiftes Frühwarnsystem schreckt zur Not alle auf und über ein ausgeklügeltes System kann wenn nötig die ganze gefährdete Zone evakuiert werden. Wir fanden, es sei gut das zu wissen. Gebraucht haben wir diese Infos jedoch zum Glück nicht - dafür hatten wir in diesen Tagen (statt des angesagten Sonnenscheins) jede Menge Regen...

Cozumel gilt als Urlaubs-Paradies mit mexikanischem Herzen und einer karibischen Seele. Mein erster Gedanke, als wir an Land gingen, war: Wir sind auf dem Mallorca der US-Amerikaner. Was wir schon in Playa del Carmen gefunden hatten, fanden wir hier wieder: Hotel an Hotel bis vor ans Meer. Geschenkshop an Geschenkshop und vor jedem Laden mindestens zwei Verkäufer, die ausschließlich dazu da sind "good price, good price" zu brüllen und Kunden in den Laden zu zerren. Alle Preise waren in US-Dollar!

Zum Glück hatten wir in Tulum von zwei netten Jungs einen Hoteltipp bekommen: Das Tamarindo - eine Oase hinter weiß getünchten Mauern mit einem grünen Garten, einer schönen Terrasse und einem noch schöneren Zimmer mit XXL-Bett, gelb-gefliestem Bad und einer kleinen Küche. Das war toll. Gleich nebenan war ein kleines Restaurant, ein winziger Familienbetrieb, in dem es sehr billig fangfrischen Fisch gab.

Am nächsten Tag stellten wir dann fest, dass man ohne Auto auf der Insel nicht viel machen kann - der einzige, vom Hotel aus zu Fuß erreichbare "Strand" war übersät mit Glasscherben und komischen Menschen. Unter Wasser war nahezu alles Leben längst abgestorben - vernichtet von Müll und Booten. Wir blieben dort nicht lang, sondern mieteten für umgerechnet 20 Euro für einen Tag einen alten, grauen Käfer, mit dem wir einen Erkundungstripp um die Insel unternahmen. Cozumel ist recht groß, fast das gesamte Inselinnere ist naturbelassen, wild, Urwald. Nur eine Straße führt aus der einzigen Stadt hinaus und um die Südhälfte der Insel herum, vorbei an Stränden, einer Rasta-Bar und den obligatorischen Hoteltrumms. Und vorbei an Mangroven-Wäldern - das hat mir besonders gut gefallen. Ich hatte noch nie Mangroven "in freier Wildbahn" gesehen und war ganz hin und weg, auch von den blauen und orangenen Mangroven-Krabben, die überall aus ihren Löchern schauten.

Cozumel gilt als berühmt für seine angeblich weltbekannten Korallenriffe. Nun, vermutlich liegen diese etwas vor der Küste, von den Stränden aus, an denen wir waren, kamen wir jedenfalls zu keinem Riff. Insgesamt war auch nicht viel mit Korallen - sei es, weil der Tourismus das Meer zu sehr belastet, sei es, weil der Wirbelsturm Wilma vor wenigen Jahren viele Riffe zerstörte. Obwohl unser Reiseführer etwas anderes sagte, fanden wir die schönsten Schorchelplätze keineswegs auf Cozumel. Dafür aber weite Wildnis und raue See, kantige Steinküsten und jede Menge Muscheln und tote Korallen am Strand. Es war wirklich schön und außerhalb der Stadt auch nicht mehr sehr touristisch. Und das Schönste waren die Schildkröten.

Überall in der Region kommen im Sommer Meeresschildkröten an die Strände, sie pflügen durch den Sand und vergraben ihre Eier. Diese gelten leider noch immer als Delikatesse und auch die kleinen Schildkröten selbst haben in den ersten Monaten relativ schlechte Überlebenschancen. Deshalb werden sie geschützt. Auf Cozumel haben Biologen zusammen mit Freiwilligen die frisch geschlüpften Schildkröten eingesammelt und sie in eine geschützte Bucht gebracht, wo sie das erste Jahr verbringen sollen, bevor sie in die Freiheit entlassen werden. Und Roland und ich konnten zusehen, wie sich ganz kleine Schildkrötenkinder aus ihren Eiern ins Freie kämpften und die ersten Schläge mit ihren Füßen, Flossen, wie immer das heißt, unternahmen. So was Schönes hab ich selten gesehen.

Am nächsten Abend haben wir in unserer Küche gekocht, die eigentlich in Anführungszeichen gesetzt werden müsste. Unsere "Küche" bestand hauptsächlich aus einer kleinen tragbaren Herdplatte, die schon zwei Jahrhundertwenden erlebt haben dürfte. Nichts desto trotz wollten wir kochen. Der Grund: Im Supermarkt hatten wir 1 kg Tintenfisch für umgerechnet 90 CENT (!) gekauft - das Gemüse und die Nudeln, die wir außerdem für das Rezept brauchten, kosteten weit mehr als das Doppelte.

Nach vier entspannten Nächten auf Cozumel brachen wir zur letzten Station unserer Reise auf: Isla Mujeres. Dort fanden wir nach zwei Nächten in einem wenig gemütlichen Zimmer mit einem noch weniger gemütlichen Bett ein nettes kleines Apartment mit separatem Schafzimmer, offener Küche, Bad und regelmäßigem Besuch von zwei Katzen - das Ganze in unmittelbarer Nähe des schönsten Strandes der Insel, des Playa Norte. Dieser war nicht weniger postkartentauglich als der Strand von Tulum: kristallklares, türkis schimmerndes Wasser, eine schattenspende Kokospalme an der nächsten, weißer Sand, ... toll. Auch hier hat Roland uns Kokosnüsse zum Mittagessen erobert. Das Gehopse und Steingeschmeiße meines heldenhaften Freundes trug sehr zur Belustigung der anderen Touris bei, die nicht einfallsreich genug waren, eine Kokosnuss aus drei Metern Höhe von der Palme zu schlagen und dann auch noch zu knacken. Einer fand das dermaßen witzig, der wollte sogar ein Video für YouTube über meinen Ritter der Kokosnuss drehen - aber der Mensch hatte ganz schnell ausgelacht, als wir Kokosnuss aßen und er nicht und seine neidische Frau ihn obendrein noch auffordernd anschaute...

Und dann ist noch was verrücktes passiert: ein kleiner Fisch war irgendwann zu mir geschwommen und blieb einfach da. Ich bin ein paar Meter geschwommen, weggelaufen, hab Wasser gespritzt und Sand aufgewirbelt - der kleine Fisch blieb immer an meiner Seite oder schwamm fröhlich um mich herum im Kreis. Mindestens eine Stunde lang ging das so. Der Kleine hielt mich für seine Mutter und hat Schutz gesucht oder was, keine Ahnung. Merkwürdig. Irgendwann ist Roland an den Strand um seine Schnorchebrille zu holen und unseren neuen Freund aus der Nähe zu betrachten und kaum hatte der Fisch Roland mit seiner giftgrünen Brille entdeckt schwamm er geradewegs auf ihn zu als hätte ihn sonstwas gestochen und erkundete Rolands Gesicht. Als ich später aus dem Wasser bin ist der Fisch fast mit bis an den Strand geschwommen, dann hat er sich Roland zugewandt, der noch im Wasser blieb, und ihn zu seinem neuen Freund erklärt. Dann sind beide fast eine weitere Stunde einträchtig zusammen geschwommen. Der Fisch war wirklich seltsam.

Einige Abende verbrachten wir am Playa Norte in einer Hollywood-Schaukel in sicherer Entfernung von der Hochhaus-Skyline von Cancun. Oder wir gingen in ein kleines Fischrestaurant an einem anderen Strand, wo wir, die nackten Füße im warmen Sand, vor der Kulisse von dunkelroten Sonnenuntergängen unter bananenblättergedeckten Dächern gegrillten Fisch nach Maya-Art aßen. An einem Abend ging Roland mit seiner Schnorchelbrille, einer Plastiktüte und einem Messer bewaffnet ins Wasser - auf Langusten Jagd. Er hatte deren Höhlen tagsüber schon ausgekundschaftet und konnte auch tatsächlich zwei aufspießen. Abends haben wir dann natürlich groß gekocht!

Ein Mal haben wir ein Golf-Cart mit offroad-Reifen gemietet und sind um die Insel gecruist. Isla Mujeres ist circa acht km lang und an manchen Stellen keine 200 Meter breit. Am Punta Sur, also an der Südspitze, hatten wir Aussicht auf ein atemberaubendes, stechend grünes Meer. Es gab dort auch ein Hotel, wir zahlten Eintritt und konnten uns dafür den ganzen Tag am Privat-Strand aufhalten. Das war der schönste Ort zum Schnorcheln: so viele Fische auf ein Mal, dass wir sie manchmal, wenn sie zu langsam waren, anfassen konnten. Wir schwammen mitten in Schwärmen von schillernd bunten Fischen und haben sogar zwei circe 40 cm lange Papagaienfische gesehen, Rochen, Krebse und seltsame Wesen, die aussahen wie Fische, die aber Beine hatten und sowas wie Flügel und die (vermutlich auf der Suche nach Essen) auf dem Meeresgrund jeden Stein umdrehten.

Später brauchte Roland dringend Kuchen. Also betraten wir eine pasteleria, in der ein etwa neunjähriger Junge gerade eine halbe Sahnetorte verdrückte. Auf meine Frage hin, was ein Stück Torte koste, überlegte der Junge kurz und presste dann verschmitzt zwischen zwei Bissen hervor: "30 pesos". Wir zahlten und der kleine Junge verabschiedete sich sehr schnell von uns. Am nächsten Tag kamen wir wieder. Diese Mal bediente der Vater des Jungen und siehe da: ein Stück Torte kostete plötzlich nur noch 20 pesos - der kleine kugelige Junge hatte uns doch tatsächlich ganz dreist abgezockt. Früh übt sich... Insgesamt zahlt man als offensichtlich Fremder eigentlich immer mehr, egal ob auf Märkten, bei Taxifahrten - wenn ich Mexikaner vorschicke um nach dem Preis zu fragen ist es so gut wie immer billiger...

An meinem Geburtstag sind wir auf eine Schildkrötenfarm gefahren - das war toll. Die Mitarbeiter der "Tortugranja" sammeln Schildkröteneier am Strand, die Kleinen schlüpfen dann auf der Farm und verbringen ein Jahr in Sicherheit, bevor sie in die Freiheit entlassen werden. Schön ist: etwa zwölf Jahre später, wenn aus den kleinen Flitzern geschlechtsreife Schildkröten geworden sind, kommen viele davon an die Strände der Tortugranja zurück, so dass auch ihre Nachfahren in geschützter Atmosphäre schlüpfen. Es war ein toller Nachmittag auf Isla Mujeres - aber leider auch der letzte. Am nächsten Tag ging unser Flug von Cancun zurück nach Puebla. Und als die Wolken über Puebla kurz aufrissen konnten wir von hoch oben die Lichter der Stadt sehen und den riesigen, rauchenden Schlund des majestätischen Popocatépetl. Das war der beeindruckende Abschluss einer beeindruckenden Reise.