Samstag, 27. Dezember 2008

Im Nationalpark Popocatépetl-Iztaccíhuatl

Èrase una vez... Es war einmal, zu der Zeit, als die Azteken noch das Land bevölkerten, ein Krieger. Der hielt um die Hand einer Königstochter an und diese wollte ihn gern zum Manne nehmen, doch vorher musste er noch ein Heer in den Krieg führen. Die Hochzeit sollte stattfinden, sobald der Krieger zurückkehrte. Doch dann wartete die Königstochter monatelang auf eine Nachricht von ihrem Geliebten, die nie kam. Und es entstand das Gerücht, er sei im Kampf gefallen. Der König fasste den Entschluss, seine Tochter einem anderen Mann zur Frau zu geben, doch die Prinzessin wollte keinen anderen und nahm sich das Leben. Als der Krieger tagsdarauf heimkehrte fand er nur noch den aufgebahrten Leichnam seiner Verlobten. Fassungslos hob er den toten Körper auf, trug ihn auf einen Berg und bettete ihn auf den Gipfel. Er zündete eine rauchende Fackel an und lies sich neben seiner toten Geliebten nieder. Die Götter, gerührt von der Trauer des einsamen Kriegers, deckten beide mit einer Schneedecke zu. Seitdem, so erzählten sich die alten Azteken, wartet der Krieger darauf, dass seine Verlobte wieder erwache. Und sie gaben ihm den Namen Popocatépetl, "rauchender Berg". Die Prinzessin nannten sie Iztaccíhuatl, was so viel bedeutet wie "schlafende Frau". Bis heute wacht der Krieger mit seiner rauchenden Fackel an der Seite seiner geliebten Prinzessin.

Und wer das nicht glaubt, der komme nach Puebla und schaue genau hin: Immer wieder sieht man die Rauchsäule des Popocatépetl in den Himmel steigen. Und die schneebedeckten Gipfel des Vulkans Iztaccíhuatl sehen tatsächlich aus, wie die Silhouette einer schlafenden Frau.

Der Popocatépetl, kurz "Popo", ragt majestätisch über Puebla Besonders vormittags sieht man ihn gut, dann taucht er überraschend vor einem auf, wenn man zu Fuß in eine Straße einbiegt oder mit dem Bus um die Ecke fährt. Plötzlich füllt die Sicht auf den Vulkan die ganze Straßenbreite aus. Oder man sieht seine Rauchsäule über den Dächern der Stadt. Wenn der Popo einen ganzen Straßenzug einnimmt wirkt er ganz nah, aber es sind doch einige Kilometer und da ein guter Teil der Strecke aus ungeteerten Feldwegen besteht, die dann gegen Ende hin zudem sehr steil nach oben führen, brauchten wir rund zwei Stunden als wir zum Popo fuhren - Caro, Julia, Paco, Wolfi, zwei seiner Freunde und ich. Pacos Eltern haben eine cabana, eine Hütte im Nationalpark Popocatépetl-Iztaccíhuatl und im November verbrachten wir ein Wochenende dort.


Der Popocatépetl ist Teil eines Zwillingsvulkans im Hochland von Zentralmexiko. Die schlafende Frau an seiner Seite, der inaktive Vulkan Iztaccíhuatl, ist ein wenig niedriger als der Popo, der mit seiner momentanen Höhe von rund 5.480 Metern einer der höchsten Vulkane der Welt ist. Viele Jahre hatte er geschlafen, doch vor 14 Jahren ist der Riese wieder erwacht. Ein Ausbruch im Dezember 1994 beendete eine circa 50 Jahre dauernde Ruhephase. Aufgrund der Nähe zu Mexico City und Puebla wird der Popocatépetl heute als sehr gefährlich eingestuft - daher ist er auch einer der am besten überwachten Vulkane der Welt. Auf dem Weg in den Nationalpark stand alle paar Meter auf Schildern und in neonfarbenen Lettern quer über die Straße geschrieben: "Ruta de Evacuación". Ein Ausbruch des Vulkans würde vermutlich sämtliche Dörfer am Fuße des Popos a la chingada schicken (also zerstören), deren Bevölkerung sich bis zum heutigen Tag hartnäckig gegen jeden Umsiedelungsversuch zu Wehr setzte. Daher wurden etliche Vorkehrungen für den Fall der Fälle getroffen.

Man darf sich dem Krater des Popo nicht nähern, weiter unten am Berg, gibt es jedoch (Touristen-)Holzhüttendörfer. Wir kamen abends dort an, Paco und Wolfi auf ihren Motocross-Motorrädern und wir anderen im Auto. Allerdings hatte sich schnell herausgestellt, dass Motocross-Maschinen für die steilen, sandigen Pisten wensentlich tauglicher waren als das Auto - wir schafften es gerade so, mit rauchendem, stinkenden Motor zur Hütte von Pacos Eltern. Später in dieser Nacht liefen wir zu einem Aussichtspunkt und zum ersten Mal konnten wir nicht den Vulkan von Puebla aus, sondern Puebla vom Vulkan aus betrachten. Das hatte ich mir schon lange gewünscht, nicht nur als Geografin fasziniert mich der Vulkan - ich musste dort einfach unbedingt hin.

Am nächsten Tag erkundeten wir die Gegend - ich saß dieses Mal zu meiner übergroßen Freude jedoch nicht im Auto, sondern hinten auf Pacos Motorrad und war total glücklich: Motocross fahren am Popocatépetl - etwas Besseres hätte ich mir für dieses Wochenende nicht vorstellen können. Da war es mir auch egal, dass das Wetter nicht mitspielte und wir dank bedecktem Himmel nur ganz früh morgens Aussicht auf den Krater des Popo hatten. Am Vormittag fuhren wir zuerst zu einer jesuitischen Einsiedelei. Den Weg dorthin wiesen uns Schilder mit der Muschel des Jakobswegs, der offensichtlich auch durch die höchsten Gebirge Mexikos führt. Die Einsiedelei war sehr schön, zwischen kleinen Kapellen und plätschernden Brunnen hatten wir eine unvergleichliche Aussicht auf das waldbedeckte Vulkangebirge. Danach fuhren wir zum Paso de Cortez, einem Pass zwischen den Gipfeln des Popocatépetl und der Iztaccíhuatl. Von diesem Pass aus hätten wir eine wunderbare Aussicht auf den rauchenden Krater des Popo gehabt und bestimmt ganz tolle Fotos machen können, wenn, ja, wenn der Himmel nicht komplett bewölkt gewesen wäre...

Auf dem Pass aßen wir an einem mit einer pinken Plastikfolie überdachten Stand Quesadillas de Huitlacoche, Tortillas aus blauem Mais, gefüllt mit Käse, Kürbisblüten und Huitlacoche, also Pilzen, die an Maispflanzen wachsen und die hier in Mexiko als Delikatesse gelten - zurecht, meiner Meinung nach, denn trotz eines sehr eigenen Geschmecks schmeckt Huitlacoche ausnehmend gut. Nach dem Essen fuhren wir dann über die sandigen Pisten bzw. querfeldein weiter hoch bis zu einem Parkplatz, von dem aus man in einem mehrstündigen Marsch den inaktiven Vulkan Iztaccíhuatl besteigen kann. Dazu hatten wir jedoch nicht die Zeit und vermutlich sowieso auch nicht die Kondition. In einer Höhe von über 4000 Metern geht einem sehr schnell die Luft aus, die Lungen schmerzen schon bei leichter Anstrengung und mir war leicht schwindelig - und das obwohl ich bereits vier Monate in einer Höhe von 2300 Metern gelebt hatte (so hoch liegt Puebla). Wir liefen bis zu einem Aussichtspunkt, etwa auf der Höhe der Baumgrenze, von dem aus wir vom Popo NICHTS sahen, dafür aber umso mehr von der rauen, stillen und einsamen Landschaft, die ich sehr schön fand. Damit war unser Wochenendausflug leider schon wieder zu Ende und wir mussten zurück nach Puebla. Es war ein kurzes Wochenende, doch ich hatte mir damit einem Traum erfüllt. Ein Trip zum Popocatépetl war eines der Dinge, die ich hier in Mexiko unbedingt machen wollte. Und ich war da.