Mittwoch, 29. Oktober 2008

Zwischen sprachlos und fast im MexiKOMA

Eines Tages lief ich die Straße entlang. Vor mir trottete ein Mexikaner so langsam wie Mexikaner nun mal meistens laufen. Ich hatte es eilig, denn von allen Professoren, die es an der BUAP gibt, ist ausgerechnet meiner einer, der um 10:05 Uhr die Türe zumacht und niemanden reinlässt, der mehr als fünf Minuten zu spät kommt. Ich überholte also den langsamen Mann. Aus Versehen stieß ich ihn dabei mit meiner Tasche woraufhin er mich anbrüllte: !Pinche gringa! (Pinche bedeutet soviel wie Küchenhilfe, wird aber ständig und für alles verwendet. Nach Aussagen der Mexikaner beschimpfen US-Amerikaner mexikanische Einwanderer als pinches, also beschimpfen die Mexikaner (vermeintliche) US-AmerikanerInnen auch so. Und gringa ist abwertend für US-Amerikanerin) Jedenfalls passiert mir das regelmäßig und es geht mir auf die Nerven. Also hab ich nichts weiter gesagt, als dass ich deutsch sei. Darauf der Mann: "Ay, disculpe, no lo sabía! Entschuldigung, das wusste ich nicht!"

Einige Tage später habe ich das einem mexikanischen Freund erzählt. Er lachte und sagte: "Que fuerte! Aber bei den Deutschen muss man auch aufpassen, die stecken einen sonst noch in ein Konzentrationslager!"

Und ich war sprachlos.

Mittwoch, 22. Oktober 2008

Der Beginn unserer Reise

"VIVA MÉXICO! VIVA! VIVA!" In der Nacht vom 15. auf den 16. September schallte dieser Schrei durch das ganze Land. Es war der Día de la Independencia, der Tag der Unabhängigkeit - DIE Party schlechthin. Schon Wochen vorher bereiteten sich alle vor, überall hörte man die Nationalhymne, überall wurden banderas, Flaggen, verkauft und jeder Zócalo wurde mit dem typisch mexikanisch kitschigen Schmuck verziert. Alle waren in Partylaune und ich ganz besonders, denn ich hatte noch einen weiteren Grund mich zu freuen: am 15. September kam Roland! Typisch deutsch feierte ich daher weniger Unabhängigkeit als vielmehr den Tag der Wiedervereinigung. Und gefeiert haben wir, aber richtig. Nach dem grita, also nachdem das ganze Land "Viva México! Viva! Viva!" gebrüllt hat, fuhren wir in eine Bar - die Party begann so gegen elf und endete um sieben Uhr morgens. Viva México! Viva! Viva!
Was mir auffiel war der extreme Nationalstolz, den die Mexikaner besonders in diesen Tagen an den Tag legten. Ich saß im Bus nach Mexiko City und fuhr vorbei an Hüttensiedlungen und slums, in denen die Menschen einfach gar nichts haben außer vielleicht ein Dach über dem Kopf. Und oft haben sie nicht mal das. Aber wer ein Dach hatte, der hatte auch eine mexikaische Fahne darauf gehisst. In einer solchen Siedlung stieg dann ein Mann zu, der Flaggen verkaufte. Er schaute mit einem etwas überheblichen Grinsen in mein so offensichtlich fremdländisches Gesicht (wobei er eine erstaunliche Ansammlung von schwarzen, abgestorbenen Zahnstummeln entblößte) und sagte mir er sei "orgullosamente mexicano", ein stolzer Mexikaner. Und ich kam nicht umhin mich zu fragen: "????? Wieso das denn? Warum bitte bist du denn stolz auf ein Land, das sich überhaupt nicht um dich kümmert, das dich und deine Kinder in Elend und Armut deinem Schicksal überlässt?" Wer in Mexiko arm geboren wird, der stirbt in der Regel auch arm. Es gibt keine wirklichen Hilfen vom Staat - wie auch, die Anzahl der Armen und das Ausmaß ihres Elends ist unüberschaubar. Vierzig Prozent der Mexikaner leben am Existenzminimum. Fast die Hälfte. Der Mindestlohn pro Tag beträgt 45 pesos, derzeit sind das etwa 2,60 Euro. Doch nirgends sah ich so viele Flaggen auf den Häusern wie in den slums von Puebla und Mexiko City, den meisten Nationalstolz sah ich bei den Ärmsten. Irgendwie finde ich das erschütternd, dass das Land ausgerechnet von den Menschen so sehr geliebt wird, die am wenigsten davon haben, die im Gegenteil Zurückweisung, Desinteresse, Leid und Elend erfahren.

Am Freitag darauf sind wir (Roland, Caro, Julia und ich) dann aufgebrochen zu unserer Reise in den Süden des Landes. Nach einer Nacht im Bus kamen wir an unserer ersten Station an: Palenque im Bundesstaat Chiapas, eine kleine Stadt in der Nähe zur Grenze nach Guatemala im tropischen Regenwald.

Wir fanden uns im Hotspot der alternativen Backpackerszene von Palenque wieder: El Panchán. Wir wohnten für umgerechnet fünf Euro pro Person/ Nacht in Chato´s cabanas mitten im Regenwald, Roland, Caro, Julia und ich. Durch El Panchán schlängelt sich ein kleiner Bach, über Brücken und schmale Wege kamen wir zu den einzeln stehenden cabanas, alle mehr oder weniger baufällig aber immer noch wasserdicht. Das war auch nötig: Bei rund 60% Luftfeuchtigkeit hat es jede Nacht geschüttet und zwar richtig heftig. Bis zum nächsten Morgen tropfte es von all den Pflanzen und jedesmal, wenn ich vor die Türe unserer cabana trat dachte ich: Es ist einfach unglaublich hier. Ich fühlte mich wie im Amazonas-Haus der Wilhelma, erst allmählich drang zu mir durch, was ich nach wie vor toll finde: wir waren tatsächlich mitten im jungle. Das war so schön, da gab es Pflanzen auf Pflanzen, die auf Pflanzen wachsen. Eine überbordende Natur, die in allen grün Tönen schillert und dazwischen die merkwürdigsten Früchte und die farbenprächtigsten Blüten. Und Tiere: Gottesanbeterinnen, Schimmeltiere, Geccos und Echsen, groß und klein und bunt - alles in seinem natürlichen Lebensraum was man sonst nur aus dem Zoo kennt. Toll! Leider hat sich eben jener Lebensraum auch auf unsere cabana erstreckt und so teilten wir vor allem Dusche und Bad mit allen möglichen Vielfüßlern. Die Geccos waren ja ganz nett, aber auf Termiten-Exkremeten, die fröhlich auf mich herunterrieselten während ich schlief, hätte ich dann doch verzichten können. Und auf diese schrecklichen Moskitos - auch heute noch, rund drei Wochen nach Palenque, sehen meine Beine aus wie ein Streuselkuchen. Trotz Autan Proteccion Plus Spray gegen tropische Mücken.

El Panchán ist das Paradies der Backpacker. Dort trifft sich, wer einen Rucksack und/ oder Rastas hat. El Panchán war auch so ziemlich der einzige Ort, an dem wir waren und an dem Roland mit seinem langen Haaren nicht sofort auffiel. Die Bevölkerung des sogenannten jungle palace war genauso bunt wie die Blüten. Abends sammelte sich alles im Restaurante Don Mucho´s, wo es zu meiner übergroßen Freude Spaghetti und Pizza gab. Angeblich sogar die besten Pizzen südlich von Neapel - keine Ahnung, mag sein, Caro, Julia und ich jedenfalls haben freudestrahlend jeden Abend Pasta oder Pizza bestellt - zu großen Erstaunen Rolands, der noch nicht so viele Tortillas intus hatte wie wir. Außerdem gab´s jeden Abend Live-Trommel-Panflöten-Musik und Feuershows. El Panchán ist im lonely planet beschrieben als "funky traveler´s hangout" - Volltreffer. Und an der Brücke, die zum Don Mucho´s führt, prangte ein Schild mit der Aufschrift: "Eintritt für Uniformierte und Betrunkene verboten". Polizisten müssen draußen bleiben, was für eine Ansage. Und das in Zeiten, in denen das ganze Land leise murrt (aufzuschreien traut sich hier glaub ich keiner so richtig) weil der congreso federal eine Reform auf den Weg bringen will oder wollte (so genau erfährt man das irgendwie nicht und jeder sagt was anderes), die es jedem Polizisten erlauben soll ohne jede Befugnis AUF VERDACHT in jedes Haus einzudringen und es zu durchsuchen. Das hätte Polizeistaatqualitäten und das in einem Land, in dem man ohnehin fast schon mehr Angst vor der Polizei als vor Verbrechern haben muss. Ich bin schlichtweg entsetzt und gespannt wie das weitergeht.

Am ersten Tag in Palenque haben wir die dortige Maya-Ruinenstadt besucht, die sich auf einer Rodungsinsel mitten im Dschungel erhebt. Wahnsinn, man tritt aus dem Wald und steht vor Zeugen einer Kultur, die vor 1500 Jahren das Land bevölkerte. Von den Maya ist so unglaublich viel übrig, nur der kleinste Teil der Ruinen ist erforscht, ausgegraben und zum schützenswerten Kulturerbe erklärt. Über mehrere Quadratkilometer hinweg finden sich weitere Ruinen, Wohn- und Geschäftshäuser, die nicht geschützt werden. Angeblich gibtsich in der Gegend um Palenque weit über tausend unerforschte Ruinen. Die Natur erobert sich langsam aber sicher alles zurück, die Überreste der Häuser und Tempel sind bemoost und es wachsen Bäume darauf. Sieht auch schön aus, aber alles zerfällt weil das Geld für Untersuchungen oder das Interesse daran fehlt.

Am nächsten Tag sind wir dann um sechs Uhr morgens zu einem Tagestrip nach Yaxchilan und Bonampak aufgebrochen, zwei weitere Maya-Tempelanlagen im Dschungel. Ein Busfahrer, der wirklich un poco loco war - jedenfalls was seinen Fahrstil anging -, hat uns und weitere backpacker abgeholt. Einer davon, Asier, war ein spanischer Archäologe und Maya-Eyperte, der derzeit in Mexiko City lebt und arbeitet und der die Rolle und Macht der Frauen in den Maya-Städten in und um Palenque untersucht. Wie perfekt ist das denn: Wir haben auf dem Weg zu Maya-Stätten einen Maya-Expterten kennen gelernt, der Maya spricht und lesen kann und der uns viel über seine Arbeit und die Ruinen erzählt hat. Nach einer Stunde Fahrt gab es dann Frühstück in einer bananenblätter gedeckten Hütte - Tortillas, Eier, Bohnenmus, Fleisch. Nach weiteren drei Stunden Raserei über ungeteerte Dschungelpisten kamen wir dann in der Nähe von Yaxchilan am Rio Usumacinto an, dem Grenzfluss, der Mexiko und Guatemala trennt. Dann ging es weiter mit kleinen Booten. Der Fluss war dank der Regenzeit völlig über die Ufer getreten, nach Aussage des Bootsführers war der río rund 50-60 m tief. Normalerweise sieht man hier Krokodile auf Sandbänken, doch leider war die Strömung viel zu stark und wir haben von unserer Nussschale aus keine gesehen. Eine dreiviertel Stunde saßen wir im Boot und spürten Baumspitzen von unten gegen den Bug schlagen.

Yaxchilan war von allen Ruinenstädten, die ich bis jetzt gesehen habe, die schönste. Wir kamen dort an und es war unsagbar heiß und die Luftfeuchtigkeit so hoch, dass es wirklich anstrengend war. Über kleine Wege gelangten wir dann durch den Dschungel zu den Tempeln. Und über uns in den Bäumen spielten Affen! Das war toll. Während wir fasziniert in die Baumkronen starrten spielten sie da mit ihren Jungen und kratzten sich ganz gemütlich.
Auch die Tempel von Yaxchilan waren ziemlich zerfallen und bemoost, was ihnen aber eine unwirkliche Schönheit verliehen hat. Alles wirkte ein bisschen wie im Märchen und mit dem Licht, das bündelweise durch die Baumkronen fiel, verwunschen.

Nach rund zwei Stunden viel zu schneller Fahrt mit Boot und Bus kamen wir dann in Bonampak an, eine weitere Tempelanlage mitten im Urwald. Im Gegensatz zu Yaxchilan und Palenque fand ich die trutzigen Ruinen etwas langweilig und es war definitiv zu heiß. Was mich beeindruckt hat, war wieder ein Mal die Geräuschkulisse des Urwalds, das entfernte Brüllen der Affen und die Weite - nachdem wir alle hundertwievielauchimmer Stufen hochgestiefelt sind sahen wir nur noch grün, Urwald soweit das Auge reicht. Viva México! Viva! Viva! Noch einen weiteren Tag haben wir die unglaubliche Atmosphäre des Waldes genossen, bevor Julia und Caro zurück nach Puebla und Roland und ich nach Mérida aufgebrochen sind.