Sonntag, 10. August 2008

Über eine Pyramide, zwei Discos, wenig Uni und jede Menge Landesküche



Es ist 8 Uhr morgens, ich bin todmüde und würde gern noch schlafen, kann aber nicht. Der Gasflaschenverkäufer dreht in seinem kleinen Lastauto seine Runden um den Block. Mit lauter Technomusik kündigt er sein Kommen an. Jeden morgen punkt 8. Heute ist bereits der siebte Tag, an dem ich ihm gern sein Megaphon geklaut hätte. Seit sieben Tagen wohne ich jetzt schon hier in meinem Zimmer, seit bald zwei Wochen bin ich in Mexiko. Es kommt mir viel länger vor, aber gleichzeitig sind die ersten Tage sehr schnell vergangen. Und ich komme nicht umhin mich zu fragen: Wie lang ist eigentlich ein halbes Jahr? Ich meine gefühlt?

Bisher fühle ich mich, als wäre ich einfach im Urlaub. Dass ich für die nächste Zeit hier wirklich leben werde ist irgendwie noch nicht so richtig zu mir durchgedrungen. Nach wie vor ist vieles neu, vieles ungewohnt und alles anders als daheim. Aber jedesmal, wenn wir es geschafft haben mit dem Bus oder einem Taxi wieder an "unserer" Straßenecke anzukommen denke ich: da vorne bin ich zuhause. So langsam gewöhnen wir uns ein und selbst mein Magen kann mit der neuen Situation so langsam umgehen. Deshalb haben Caro, Julia und ich mit der Abhärtung begonnen: Inzwischen putzen wir Zähne mit Leitungswasser, so wie die Mexikaner auch.

Und wir haben einen kulinarischen Streifzug durch die Landesküche begonnen. Derzeit ist hier Chiles en Nogada-Zeit. Das schmeckt mal lecker. Eine sehr große, scharfe grüne Chili, paniert und gefüllt mit Fleisch und Früchten, übergossen mit Walnusssoße und bestreut mit Granatapfelkernen und Petersilie. Chiles en Nogada gibt es nur im August. Mole Poblano dagegen gibt es das ganze Jahr. Auch dieses für Puebla ganz typische Gericht haben wir inzwischen probiert. Jeder Staat hat hier seine eigene Mole, Mole Poblano (die Mole Pueblas) ist eine sämige Soße aus Schokolade und Chili, die mit Hühnchenfleisch und Reis serviert wird. Auch sehr lecker. Es ist eine Mischung, die ganz typisch ist für Mexiko: Süß mit salzig. Außerdem haben wir noch Grillen gegessen, getrocknete und gewürzte echte Grillen. Hat Überwindung gekostet, schmeckt aber auch gut. Und das Obst ist einfach der Hammer. Mangos, zum Beispiel, haben viel mehr Geschmack als in Deutschland. Aber das Beste sind Tunas, grüne Kaktusfrüchte. Die fasst man am besten nur mit einer Plastiktüte an weil sich die winzigen haarigen Stacheln sonst in der Haut festkrallen. Sehr unangenehm, wie ich inzwischen weiß, ich hab´s natürlich gleich ausprobiert. Man lernt hier nie aus.

Wir gewöhnen uns an Mexiko und so langsam gewöhnen sich auch die Mexikaner hier in der CU, in der ciudad universitaria, an uns. Ich glaube, es hat sich hier im Viertel rumgesprochen, dass drei deutsche Studentinnen da sind. Ich war in einem Laden, in dem ich vorher noch nie war und der Verkäufer begrüßte mich mit: "Hola, la alemana, bienvenido!" Der wusste schon, dass ich deutsch bin. Oft glauben die Leute, wie wären US-Amerikanerinnen und dann denken sie, die gringas verstehen sowieso kein Spanisch. Wenn wir sagen, wir sind Deutsche, sind die Menschen oft gleich freundlicher. Nach wie vor schauen uns aber alle auf der Straße hinterher und die Männer sind ziemlich respektlos. Gestern bin ich die Straße langgelaufen und ein Taxifahrer hat neben mir abgebremst und ist im Schritttempo neben mir her gefahren. Er: "Quieres Taxi?" - Ich: "No, gracias, no necesito un Taxi." - Er: "Quieres Taxi?" - Ich: "No." - Er: "Quieres novio? (novio = fester Freund) - Ich: "No!" Hmpf.

Aber wir haben auch schon sehr viele nette Bekanntschaften gemacht, der Gemüsehändler hat sich zum Beispiel sehr darüber gefreut, dass in diesem Semester mehr Ausländer an der BUAP studieren, er findet kulturellen Austausch gut und wichtig. Wir haben auch echt schon einige andere Studenten kennengelernt, zum Beispiel zwei Kolumbianerinnen, zwei Deutsche Jungs und einen Haufen Mexikaner.

Gestern waren wir mit einem Mexikaner und einer sehr netten Freundin von ihm in Cholula, einem Vorort von Puebla. Dort gibt es die größte Pyramide der Welt, zumindest was die Grundfläche angeht. Vom Volumen her ist die Pirámide de Cholula die größte Lateinamerikas. Von außen sieht man nicht viel, sieht aus wie ein grüner Hügel. Aber Alejandra, das mexikanische Mädchen, das mit uns da war, studiert Tourismus und konnte uns einiges erzählen:
Die Grundfläche der Paramide beträg circa 450 x 450 m. Insgesamt gibt es rund acht km Tunnel, sehr enge Tunnel, zum Glück bin ich nur 1,70 m groß. Ablaufen kann man davon nur etwa 10 Minuten. Das reicht aber auch, die Tunnel sind so eng und niedrig, dass ich es auch nicht viel länger ausgehalten hätte. Die Pyramide stammt - wenn ich mich richtig erinnere - aus dem vierten Jahrhundert, sie wurde sieben mal überbaut. Heute steht eine Kirche auf ihrem Gipfel. An einer Seite wurde die Konstruktion freigelegt - sehr beeindruckend!

In der Nähe der Pyramide haben wir auch den Tanz der fliegenden Männer gesehen. Vier (normalerweise fünf) Männer, voladores genannt, fliegen dabei an einem sich abrollenden Seil kopfüber um einen rund 30 m hohen Pfahl. Ich muss noch mal nachlesen, was das genau ist, auf jeden Fall aber ist das ein sehr, sehr altes Ritual das verschiedene Bedeutungen haben kann. Alejandra hat mir erklärt, dass die Männer zu Ehren der Götter fliegen. Sie symbolisieren die vier Elemente, Erde, Luft, Feuer und Wasser. Nachdem sie 13 Mal um den Pfahl gefolgen sind erreichen sie die Erde. Insgesamt ergibt die Anzahl der Drehungen der Männer um den Pfahl und um die eigene Achse 52, eine magische Zahl. Traditionell fliegen die Männer an hohen Feiertagen - was wir gesehen haben war eine Touri-Attraktion. Aber trotzdem toll anzusehen.
Am Freitag waren wir mit Yaneli, ihren Brüdern und deren Freunden in einer sehr mexikanischen Disco. Das war ein sehr lustiger Abend, wir haben in dieser waschechten mexikanischen Disco so richtig waschechte Mexikaner kennengelernt - nach der aktuellen Mode mit fast bis zum Bauchnabel aufgeknöpften Hemden, zurückgegelten Haaren, Cowboy-Stiefeln, Goldketten und den obligatorischen Sombreros. Allesamt super Salsa-Tänzer. Der personifizierte machismo, allerdings nur was das Aussehen angeht, die Jungs waren richtig nett und natürlich haben sie uns vor allem und jedem beschützt. Wir sollten nicht mal alleine auf´s Klo gehen. Einer hat uns hingebracht, vor der Tür gewartet und wieder zum Tisch zurück begleitet. Das macht man so in Mexiko, sagten die Jungs, alles andere wäre zu gefährlich.
Am Samstag waren wir in einer anderen Disco, auch zum Salsa tanzen. Das war ein super schnikes Ding. Wir kamen um halb eins nachts da an und zum Glück hatten wir mal wieder den Ausländer-Blondie-Bonus, sonst wären wir in Turnschuhen gar nicht reingekommen. Und drinnen fanden wir uns im letzten Jahrhundert wieder, jedenfalls was die Musik angeht. In dieser super modernen, mega In-Disco lief doch tatsächlich Backstreetboys, Britney Spears, Abba, Shakira. Ich hab gedacht, mich tritt ein Pferd. Später, nachdem der Laden gegen halb zwei voll war, hat dann eine Live-Band Salsa gespielt. Das war toll, wir haben auch getanzt. Danach lief Techno, dann Raggaeton und zwischendurch die Filmmusik von Grease. Was für eine Mischung.

Wir haben so viel unternommen und so wenig geschlafen, wir hatten noch gar keine Zeit uns so wirklich um Uni-Sachen zu kümmern. Macht aber nichts - während hier sämtliche Austauschstudenten ankommen macht das Dezernat für Internationale Beziehungen in der letzten Woche vor Semesterbeginn Urlaub. Welcome to Mexiko. Heute fängt die Uni an, frühestens morgen, wahrscheinlich erst am Donnerstag können wir uns einschreiben. Naja, machts nichts, wir fühlen und schon ganz mexikanisch und gehen es gechillt an.

Heute waren wir an der Uni um Vorlesungsverzeichnisse zu holen und mal zu schauen, wo was ist. Und, Hilfe! Ich bin eine Jahrmarktsattraktion, ein exotisches Tier, ein Alien oder was. Die Studenten kucken, als hätten sie noch nie einen Ausländer gesehen. Caro, Julia und ich sind in die Cafeteria gelaufen und plötzlich war´s ganz still und fast alle haben uns angeschaut, überhaupt schauen uns alle nach. Das ist mal komisch. Aber den zwei blonden deutschen Jungs scheint´s zu gefallen - so viele Mädels haben ihnen wahrscheinlich noch nie hinterhergeschaut.
Morgen versuchen wir mal, ob wir uns einschreiben können. Und vielleicht können wir sogar die Stundenpläne machen. Ich möchte gerne einen Spanischkurs und drei Vorlesungen besuchen: `Stadtsoziologie´, ´Theorien des sozialen Wandels´ und `Politische Kultur Mexikos`. Mal schauen, ob´s klappt.
Wir machen auch die ersten Reise-Pläne: Nächstes oder übernächstes Wochenende fahren wir nach Mexiko City, einen Kommilitonen von mir aus Tübingen besuchen. Ansonsten fühlen wir uns mexikanisch und gehen alles locker an - überraschen kann uns im Moment sowieso nicht mehr viel.

2 Kommentare:

Patzi hat gesagt…

Find ich toll, was Du uns da so erzaehlst. Das ist wirklich eine ganz andere Welt. Auch schon von den Fotos zu sehen.
Guten Unistart!

Laura Geyer hat gesagt…

Ich liebe deine Berichte! :)
Miss you