Dienstag, 2. September 2008

Cuetzalan - un pueblo mágico

„Como México no hay dos!“ Diesen Satz habe ich hier schon so oft gehört. „Ein Land wie Mexiko gibt es kein zweites Mal!“ Richtig. Aber in diesem einzigartigen Land gibt es viele verschiedene Mexikos – das der Reichen und das der Armen; das Mexiko der indígenas und das der Nachfahren der spanischen Eroberer; das der zu groß geratenen Städte und das Mexiko des völlig unterentwickelten ländlichen Raumes. Und eben dieses Mexiko haben wir letztes Wochenende kennengelernt.

Julia, Caro und ich sind mit zwei Freunden nach Cuetzalan gefahren, ein kleines indigenes Dorf in den Bergen, vier Autostunden von Puebla entfernt. Im Touristen-Prospekt steht, Cuetzalan sei ein pueblo mágico, ein magisches Dorf. Warum weiß ich nicht genau, sei es wegen der indigenen Bevölkerung, die überlieferte Bräuche bis heute lebt. Oder sei es, weil das Dorf einfach wunderschön ist, arm zwar und mit einem sehr morbiden Charme doch schlicht unwiderstehlich. Oder sei es wegen der Natur, die einfach unglaublich ist: Grün soweit das Auge reicht. Und was für grün – tropische Farne mit Blättern die fast so groß sind wie ich, Kaffeepflanzen, Lilien aller Art, Bananenstauden, Kakteen, wunderschön und überdimensional groß. Cuetzalan ist ein unglaublich charmantes, verschlafenes Dorf mitten im Urwald.

Und so friedlich und ruhig es unter der Woche auch zu geht, der Sonntag ist der Tag des fröhlichen Lärms, der Farben, der Gerüche: Markttag. Im ganzen Ortskern verkaufen indigene Händler ihre regionalen Produkte. Die Frauen tragen weiße, bunt bestickte Röcke und Kleider, die Männer weiße Hemden und Hosen, Ledersandalen, Sombreros. Alles geht durcheinander, Straßenhunde und Hühner rennen einem zwischen die Füße, Händler preisen lautstark ihre Waren an - Blumen, frisches Obst und Gemüse, getrocknete Chilis, Gewürze, Kräuter, Kunsthandwerk, traditionelle Kleidung. Und über manch einem Metzgersstand hängt ein ausgebluteter Schweinekopf und blickt einen mit seinen toten Augen an. Das Fleisch wird nicht gekühlt.
Auf dem Markt habe ich überrascht festgestellt, dass viele Menschen gar nicht spanisch gesprochen haben. Die meisten Einwohner Cuetzalans können zwar spanisch, doch die Sprache der Straße ist Náhuatl, die Sprache der "Ureinwohner" Mexikos, die noch vor den Mayas und Azteken das Land besiedelt hatten. Ich wusste nicht, dass das tatsächlich noch gesprochen wird.

Das Wochenende in Cuetzalan war mein erster Aufenthalt im tropischen Urwald und ich war völlig begeistert von der Schönheit und Üppigkeit der Natur, von der Größe der Pflanzen, der Vielfalt der Vegetation, dem Vogelgezwitscher und all den anderen Geräuschen des Waldes, den Wasserfällen und kleinen Bächen, den Pyramiden. Und ich werde das bestimmt nicht vergessen – genauso wie ich das, was ich an menschlichen Schicksalen gesehen habe, nicht vergessen werde.
Ein Beispiel: Vor dem Eingang zu den Pyramiden Cuetzalans saßen viele Frauen und Kinder, die Früchte und Kunsthandwerk verkauft oder gebettelt haben. Als wir den Park der Pyramiden betreten haben, hab ich im Vorbeigehen gehört wie eine Frau zur anderen sagte: „Hol ihn.“ Als wir das Gelände dann wieder verließen wartete vor dem Eingang ein völlig verdrecktes, schwer behindertes Kind. Der Junge konnte nicht sprechen, er hat uns aber mit Gestik und Mimik angebettelt. Wir haben ihm Geld gegeben. Zu spät habe ich begriffen, was da gespielt wurde, dass die Frauen den Jungen extra wegen uns geholt, ihn benutzt haben, ihn vielleicht sogar absichtlich so verdreckt haben rumlaufen lassen, um das Mitgefühl von uns weißen, reichen Touristen zu erwecken. Tja, und wir haben unwissentlich das ganze unterstützt indem wir dem Jungen Geld gegeben haben. Die alte zahnlose Frau, die sich neben mich gedrängt hat und mir permanent ihren Korb mit Armbändern in die Nieren gestoßen hat, habe ich ignoriert nachdem sie auch auf das dritte „no, gracias“ hin nicht wegging.

Als wir dann im Auto wegfuhren habe ich gesehen, wie ein Mädchen einen Strick um den Oberkörper des Jungen legte und ihn an einem Baum festband. Vielleicht solange, bis die nächsten Touristen vorbeikamen. Wer weiß.

1 Kommentar:

Patzi hat gesagt…

Die Fotos waren erschreckend und toll.
Geht beides gleichzeitig.
Gleich das erste Bild gefaellt mir sehr. Ein Cafe?
Der Markt erinnert mich sehr an den Berryessa Fleamarket hier in San Jose. Jetzt ist mir auch klar, warum der bei den Mexikanern so beliebt ist, da muss Heimatgefuehl aufkommen.

Das mit dem Jungen ist erschreckend, aber offensichtlich ist er eine gute "Einnahmequelle". Und man kann hoffen, dass er auch Vorteile hat, und etwas von dem Geld abbekommt, in Form von mehr oder besserem Essen oder aehnlichem. Ich wage es aber zu bezweifeln