Am siebten Dezember flogen Julia und ich von Mexico City aus nach Guadalajara, wo am Tag darauf auch Daniel ankam. Von Guadalajara aus begannen wir unsere Reise in den Norden. Zuerst ging´s nach Mazatlán, einer Stadt an der Westküste Mexikos. Dort nahmen wir ein Schiff und fuhren über Nacht in den Staat Baja California Sur, zunächst nach La Paz. Danach ging es eine ganze Nacht lang mit dem Bus weiter in den Norden nach Guerrero Negro, von wo aus wir über San Ignacio und Mulegé in Etappen nach La Paz zurück fuhren.
Da Julia und ich beide krank waren verbrachten wir den ersten Nachmittag in
Guadalajara beim Arzt. Auf der Suche nach einer Praxis, die sonntagmittags geöffnet hat, landeten wir bei einem Doktor der Kette
"Farmácias Similares", einer Apothekenkette, die Medikamente mit den Wirkstoffen der Originalpräparate selbst billiger herstellt. Zu diesen Apotheken gehört oft auch ein Arzt, der von
"Farmácias Similares" finanziell unterstützt wird und der gegen eine geringe Gebühr von 25 Pesos (umgerechnet etwa 1,50 Euro) vor allem arme Patienten untersucht. Als wir die sogenannte "Praxis" betraten staunten wir nicht schlecht: Das Arztzimmer war ausgestattet mit nahezu nichts. Es gab zum Beispiel nur eine einzige Lampe um in Hals, Nase und Ohren zu leuchten. Dazu hatte der Arzt einen einzigen Aufsatz, den er kurz mit einem mit Desinfektionsmittel befeuchteten Wattebausch abwischte bevor er erst mir und später, nach der gleichen knappen Reinigungsprozedur, Julia in Hals und Nase leuchtete. Lecker.
Nachdem wir die verschriebenen Medikamente gekauft hatten wollten wir etwas essen gehen. Wir fanden ein gemütliches Café, das, wie auf dem Schild neben dem Eingang zu lesen stand, 1959 eröffnet worden war. Vielleicht waren es sogar noch die gleichen Männer von damals (die in den 1960ern vermutlich genauso in waren, wie das Café), die an den hinteren Tischen Domino spielten. Nachdem wir uns umgeschaut hatten war uns klar, warum es im Cafe so ruhig geworden war, als wir entraten: Wir waren die einzigen Mädchen unter dominospielenden Männern, die uns neugierig betrachteten.
Später an diesem Tag erkundeten wir das historische Stadtzentrum und versuchten die Orte zu finden, die uns als
impresionante beschrieben worden waren. Allerdings waren wir von den sogenannten Highlights etwas enttäuscht - so schön, wie im Reiseführer beschrieben, fanden wir die Altstadt von Guadalajara längst nicht. Um sieben Uhr abends hatten wir genug und gingen ins Bett um uns auszukurieren. Nach 14 Stunden Schlaf und einem ausgiebigen Frühstück kam dann Daniel im Hotel an. Mit ihm waren wir an diesem Abend italienisch essen. Ich mag das mexikanische Essen wirklich gern, Julia auch, aber nach fünf Monaten hier sind selbst einfache Spaghetti mit Tomatensoße für uns eine ersehnte Sensation...
Am Dienstag machten wir dann das, was man wohl gemacht haben muss, wenn man im Land des Tequila studiert: Wir fuhren nach
Tequila. Die kleine Stadt - nach der das Getränk übrigens benannt ist - ist etwa eine Busstunde von Guadalajara entfernt. Wir fuhren durch eine trockene, wüstenähnliche Landschaft, in der sich über Kilometer ein Agaven-Feld ans nächste reiht. Ein Deutscher namens Weber hat herausgefunden, dass sich der originale Tequila nur aus einer einzigen (von insgesamt über 100) Agaven-Sorten hergestellen lässt: Aus der Maguey-Agave. Einst hatten Einheimische durch Zufall entdeckt, dass das aus der blauen Agave gewonnene Getränk nach einiger Zeit eine schwummrig machende Wirkung auf den Organismus hat. Sie dachten, das Getränk sei ein Geschenk der Götter - erst viele Jahre später lehrten die spanischen Eroberer sie das Destillieren. Heute gibt es in Tequila mehr als 20 große Destillerien, die dafür sorgen dass es fast keine Arbeitslosigkeit in dieser Stadt gibt. Nachdem wir das hübsche historische Stadtzentrum angeschaut hatten machten wir eine Tequila-Tour. Wir fuhren an den Firmen der großen Marken vorbei zu einer Destillerie, in der uns die Herstellung des Tequila von der Pflanze bis zum fertigen Destillat erklärt und gezeigt wurde. Danach durften wir natürlich probieren. Mir wollten sie sogar die doppelte Portion Tequila andrehen, denn das Getränk wird von so ziemlich jedem Mexikaner als DAS ultimative Heilmittel für jede Krankheit angepriesen. Ich lehnte ab, weil ich Antibiotika nehmen musste - das stieß auf allgemeines Unverständnis. Die Tour war interessant. Zum Beispiel erfuhren wir, dass die blauen Agaven acht Jahre wachsen müssen, bis sie geerntet werden können. Die Stümpfe der Pflanzen, aus denen der Tequila hergestellt wird, wiegen dann zwischen 50 und 100 Kilogramm. Aus sieben Kilogramm Agave wird ein Liter Tequila gewonnen. Leider wird der richtig gute, der originale, keine Kopfschmerzen verursachende Tequila nicht nach Europa exportiert - er schmeckt wesentlich besser als der Sierra mit dem kitschigen Plastik-Sombrero, der bei uns verkauft wird. Es gibt hier sogar mindestens eine Tequilamarke, deren Flaschen nicht Außerlandes gebracht werden dürfen, nicht einmal einzeln als Geschenk für Verwandte oder Freunde.
Am gleichen Abend fuhren wir von Guadalajara aus weiter in der Norden, nach
Mazatlán. Morgens um sechs kamen wir dort an. Dachten wir jedenfalls, doch als wir drei Stunden später die Tickets für die Fähre nach La Paz kaufen wollten erfuhren wir vor den verschlossenen Toren des Hafens davon, dass Mazatlán in einer anderen Zeitzone liegt - der Unterschied zu Deutschland beträgt hier acht und nicht, wie zum Beispiel in Puebla, sieben Stunden. Wir deponierten unser Gepäck in einem Hotel, schauten uns das Stadtzentrum an und kamen um drei Uhr nachmittags zurück zum Hafen, denn zu dieser Zeit sollte das Schiff beladen werden. Von wegen... Hier musste wir zum ersten Mal auf unserer Reise so richtig lang warten. Das Schiff kam gegen fünf Uhr, bis wir an Bord gehen konnten vergingen weitere zwei Stunden. Wir hatten für umgerechnet 45 Euro Aufschlagzahlung eine Kabine für drei Personen gemietet und so verbrachten 13 entspannte Stunden an Bord des "Chihuahua Star" und kamen am nächsten Morgen halbwegs ausgeruht in der Baja California, in
La Paz, an. Es war Daniel Geburtstag. Doch anstatt am Strand (wie geplant) verbrachten wir den Tag tagebuchschreibend in einem Café - es war einfach zu kalt zum baden.
Am Abend wollten wir kochen. Um Essen einzukaufen suchten wir einen Supermarkt - kein leichtes Unterfangen dank einer für uns Europäer etwas seltsam anmutenden Art der Höflichkeit. Fragt man einen Mexikaner nach dem Weg und weiß er denselben nicht, so sagt er nicht etwa
"Entschuldigung, ich hab leider keine Ahnung". Nein, er sagt zum Beispiel "
Fünf Blocks geradeaus und dann rechts". Aus dem Tonfall hört der Einheimische heraus, dass der Gefragte keine Ahnung hat - wir unwissenden Fremden folgen jedoch der vermeintlichen, doch stets mit dem Brustton der Überzeugung vorgetragenen Wegbeschreibung - und landen regelmäßig im Sonstwo. Hier in Mexiko ist man nicht so direkt, zu sagen "
Ich weiß nicht wo ein Supermarkt ist". Es gilt sogar als unhöflich, wenn man das sagt. Tja, und da wir nicht aus dem Tonfall heraushören, ob eine Auskunft wahr ist oder nicht, verliefen wir uns bereits ungezählte Male. So auch an diesem Donnerstagabend. Frei nach dem Motto "
Ein Geograph verläuft sich nicht, er erkundet" folgten wir den Wegbeschreibungen und liefen schnurstracks in die falsche Richtung. So wurde aus
"Lass uns noch kurz zum Supermarkt gehen" eine dreistündige Odysee durch La Paz.
Am nächsten Tag wollten wir mit dem Bus an einen Strand fahren. Das ging nicht, man sagte uns, alle Busse seien in der Werkstatt. Später erfuhren wir, dass wir die einzigen Fahrgäste gewesen wären und nur für drei Leute hatte der Busfahrer keine Lust zu arbeiten. Abends gingen wir - um Geld zu sparen - in ein billiges Restaurant - eine Sparmaßnahme, die uns unsere Mägen die ganze elfstündige Nachtbusfahrt nach
Guerrero Negro bereuen ließen...
Auf unserer ganzen Reise durch Baja California wurden wir sehr oft von Militäs kontrolliert. Hintergrund ist folgender: Mexiko ist Hauptliferant für in den USA konsumiertes Marihuana und Kokain. 90 Prozent des verkauften Kokains kommt von Columbien über Mexiko ins Land - vieles davon über die einsamen Straßen der Baja California. Daher gibt es viele Militärposten, die Fahrzeuge anhalten und Ladung und Insassen kontrollieren. Allein auf unserer elfstündigen Busfahrt von La Paz nach Guerrero Negro mussten wir vier mal aussteigen, jedes Mal wurde alles Gepäck ausgeladen und wir standen, umzingelt von Soldaten mit Maschinengewehren und Strummasken, mitten in der Nach mitten in der Wüste und wurden durchsucht. An anderen Stopps stiegen Mitarbeiter der Migrationsbehörde ein und überprüften, ob auch kein Südamerikaner im Bus sitzt, der auf diesem Wege versucht, illegal in die USA zu gelangen. Mehrfach wurden wir auch unsanft wachgerüttelt, weil der Busfahrer Vollbremsungen einlegen musste, um Kühe auf der Straße nicht zu überfahren. Es war eine anstrengende Nacht und wir waren ziemlich am Ende als wir am nächsten Morgen ankamen.
Guerrero Negro:
"Hier dreht sich alles ums Whale-Watching; ansonsten ist hier nicht mehr viel geboten. [...] Eine der etwas seltsameren Whale-Watching-Regelungen untersagt das Mitnehmen von mascotas
(Haustieren) - damit können nur die Wale gemeint sein... braucht man dafür wirklich ein Gesetz?" Das steht im
lonely planet über die kleine Stadt in der Wüste. Jedes Jahr paaren sich in einer Lagune in der Nähe hunderte kalifornische Grauwale und ziehen ihren Nachwuchs groß. Zwischen Dezember und März, so sagte man uns, verweilen die Wale bei Guerrero Negro und man kann sie vom Schiff aus beobachten. Julia, Daniel und ich waren am 15. Dezember vor Ort... nur leider waren die Walen noch nicht da. Wir hatten falsche Informationen, erst am 18. Dezember fangen die Wale-Watching-Unternehmen überhaupt an, auf´s Meer raus zu fahren und zu schauen, ob die Wale schon da sind. Whale-Watching geht erst richtig gut im Januar. Und so viele Leute hatten uns erzählt, ja, ja, das geht ab Mitte Dezember, auf jeden Fall... Wir waren ziemlich enttäuscht, vor allem weil wir mit unseren kaputten Mägen eine schreckliche, elfstündige Busfahrt in einem übervollen Reisebus auf uns genommen hatten um nach Guerrero Negro zu gelangen. Und der
lonely hat Recht: In Guerrero Negro gibt es sonst überhaupt nichts zu machen oder zu sehen und wir verbrachten den halben Tag frustiert in einem Café und tranken magenberuhigenden Tee.
Die Baja California Sur ist Wüste, eine raue, sonnenverbrannte Landschaft, in der sich ein Kaktus neben dem anderen gen Himmel reckt. Durch diese weite Einsamkeit fuhren wir von Guerrero Negro aus nach
San Ignacio, einem kleinem Dorf in einer Oase mit 2000 Einwohnern und ungefähr ebensovielen Dattelpalmen. Diese wurden vor Jahrhunderten zum ersten Mal von jesuitischen Missionaren angepflanzt - heute gibt es einen ansehnlichen Dattelpalmenwald. Ansonsten gab es in San Ignacio noch eine schöne alte Mission und sonst... nichts. Nicht einmal einen Bankautomaten. Und wir hatten gerade genug Bargeld für ein billiges Hotelzimmer, das wir uns mit Kakerlaken und anderen Tieren mit zu vielen Füßen teilen mussten, eine Suppe für jeden und den Bus nach
Mulegé, wohin wir am nächsten Tag fuhren.
In der nördlichen Hälfte der Baja California Sur gibt es eigentlich nur diese größeren Orte: Guerrero Negro, San Ignacio, Santa Rosalía (was wir ausliesen) und Mulegé. Zwischen diesen Orten verkehrt mehrmals am Tag ein Bus. Es gibt nur eine Busgesellschaft, die die Preise festlegen kann. Allerdings kauft man die Tickets meist gar nicht offiziell am Schalter, sondern inoffiziell direkt beim Busfahrer. So zahlt man etwas weniger, dafür wird aber erwartet, dass man schweigt. Denn wie man beobachten kann, wenn man genauer hinschaut: Der Busfahrer steckt das Geld in die eigene Tasche und teilt es später, irgendwo hinter dem Bus versteckt, mit der Ticketverkäuferin und den für´s Gepäck Zuständigen - an die Busgesellschaft wird die Information weitergegeben, der Bus sei ohne Gäste gefahren. Mitten in der Wüste bekommt das keiner mit und die Militärposten, die unterwegs ständig die Busse anhalten und Gepäck und Fahrgäste kontrollieren interessieren sich nicht für Fahrkarten.
In San Ignacio sagte man uns, der Bus nach Mulegé käme zwischen ein und zwei Uhr. Von wegen... Wir warteten fast drei Stunden am Busterminal (das nicht mehr war als ein sonnenverbrannter Sandplatz am Straßenrand mit einem kleinen Supermarkt). Dort fanden wir ein nettes, kleines Hotel, ein Familienbetrieb in dem es sogar warmes Wasser gab und in dem wir mit Kreditkarte bezahlen konnten (es gab in Mulegé zwar einen Bankautomaten, doch er war außer Betrieb...) Am nächsten Tag machten wir einen Tagesausflug, der wirklich toll war: Wir fuhren zunächst auf eine Orangenfarm und aßen die besten Orangen, Mandarinen und Grapefruits
ever. Dann ging es im Jeap über sandigsteinige Pisten weiter, vorbei an vielen, teils uralten Kakteen. Irgendwo in der Wüste machten wir dann Halt und unser
guia erklärte uns die Pflanzen, welche Heilwirkung sie haben und wofür die alten
indios sie benutz(t)en. Nach einer längeren Fahrt kamen wir schließlich an einer Ranch an, von der aus wir zu Fuß weiter gingen bis zu einem
canon, in dem wir Felszeichnungen von indios anschauten, die dort zwischen 1700 und 7000 vor Christus gelebt haben.
Den nächsten Tag verbrachten wir an zwei verschiedenen Stränden. Leider war es wieder zu kalt zum baden, aber es war trotzdem schön. Abends aßen wir
callos, irgendwelche Meerestiere - wir konnten bis heute nicht eindeutig rausfinden, was das jetzt genau war. Aber es war lecker und wir bekamen zur Abwechslung keinen Durchfall... Nach einer letzten Nacht in Mulegé fuhren wir dann zurück nach
La Paz. Auch dieser Bus lies mehrere Stunden auf sich warten und die Fahrt dauerte, dank Militärkontrollen und Pausen, knappe acht Stunden statt der angesetzten sechs... Spät abends kamen wir wieder in La Paz an, wo wir die beiden letzten Tage unserer Reise gemütlich am Strand relaxten. Daniel flog am 19. und Julia und ich flogen am 20. Dezember zurück nach Puebla. Auf dieser Reise stellten wir fest: In Mexiko reisen (jedenfalls außerhalb der überlaufenen Touristengebiete) heißt warten. In den 13 Tagen unserer Rundreise verbrachten wir insgesamt 14 Stunden an Busterminals bzw. im Hafen von Mazatlán.